Referenz von Josef Gottschlich (Theologe und Pädagoge)

Visionen von einem neuen Umgang mit Geld -
Sylvia Führer: Kinderbuch "Die Münze Nuria"
Das Thema "Geld" spielt in der deutschsprachigen Kinder- und
Jugendliteratur der letzten Jahrzehnte eine merkwürdig untergeordnete
Rolle, sieht man einmal von Michael Endes spätem Meisterwerk "Der
Wunschpunsch" ab, in dem die Geldhexe Tyrannja Vamperl die Menschheit
ins Verderben stürzen will. Auch in unseren traditionellen Märchen wird
das Geld nur selten thematisiert, meist eher indirekt, wenn Menschen
aufgrund ihrer Armut ihre Heimat verlassen müssen, um anderswo ein neues
Leben aufzubauen (etwa in "Hänsel und Gretel" oder "Der kleine Muck").
In "Sterntaler" der Gebrüder Grimm hingegen wird ein Mädchen für
Mitgefühl und selbstlose Liebe am Ende mit einem Goldregen belohnt,
ähnlich wie bei der Goldmarie in "Frau Holle".
Sehr aktuell dagegen ist die Grundaussage des Märchens "Hans im Glück": Der eigentliche Sinn des Handels liegt im Tauschgeschäft.
Vor allem dieses ermöglicht ökonomische Gerechtigkeit und wirkliches
Lebensglück, wie auch unser Geld von der eigentlichen Zweckbestimmung
ein Tauschmittel ist. Dass es im Laufe der Geschichte dann immer
häufiger zu einem Machtinstrument missbraucht wurde, durch Horten großer
Geldmengen und eine zutiefst unmenschliche Zinspolitik, wurde schon vor
über hundert Jahren vom Wirtschaftsreformer Silvio Gesell kritisiert.
Seine Forderung, das Zinssystem zu überwinden und das Geld ständig im
Umlauf zu halten, seine Hortung aber mit allmählichem Geldwertverfall
der zurückgehaltenen Finanzen zu sanktionieren, um so das Geld wieder zu
einem reinen Tauschmittel werden zu lassen, ist heute, im Zeitalter des
neoliberalen Globalisierungs-Kapitalismus, aktueller und berechtigter
denn je. Kein verantwortungsbewusster Mensch sollte deswegen tatenlos
dabei zusehen, wie die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer
werden.
Gerade die Kinder haben oft ein besonders stark ausgeprägtes Gefühl
für soziale Gerechtigkeit, das durch gute, zeitgemäße Kinder- und
Jugendliteratur besonders unterstützt und vertieft werden sollte. "Die
Münze Nuria" ist ein solches Buch. Die Idee, dass die Geschichte aus der
Perspektive einer 1-Euro-Münze erzählt wird, ist originell und
entspricht der anthropomorph-animistischen Vorstellungswelt der Kinder,
in der alles Vorhandene beseelt und lebendig ist und auch Mitgefühl mit
Gegenständen aus der unbelebten Natur (Steine, Schmuckstücken oder eben
auch Münzen) nichts Ungewöhnliches ist. Im Laufe der Geschichte wird
immer mehr deutlich, wie Nuria selbst darunter leidet, wenn sie
zweckentfremdet benutzt wird, etwa von einem Tierquäler, der nur darauf
aus ist, durch Pferderennen möglichst viele Gewinne zu machen.
Dieses Mitgefühl mit der Titelheldin, die sich nach einem Dasein
sehnt, in dem sie "frei fließen" kann, in dem die Menschen mit leichter
Hand, ohne Neid oder Geiz, geben und nehmen, kann das Bewusstsein der
Kinder für soziale und ökonomische Leichtigkeit besonders gut schärfen
und gleichzeitig einem allzu sorglosen Umgang mit Geld vorbeugen. Leider
sind heutzutage viele bereits im frühen Jugendalter hoch verschuldet,
weil sie nicht rechtzeitig gelernt haben, verantwortungsvoll mit Geld
umzugehen; Verlockungen des "freien" Marktes (besonders rund um das
Handy) tun ein Übriges.
Aber auch diejenigen, die bereits als Kind über Geld in Hülle und Fülle verfügen, können von Büchern wie Die Münze Nuria
vielleicht noch rechtzeitig wachgerüttelt werden, um fragwürdige
Verhaltensweisen von Menschen in ihrem Umgang mit Geld kritisch zu
beurteilen. Es erwächst in ihnen die Fähigkeit zur Abgrenzung von einem
übermäßigen Hang zum Sparen wie auch der Beurteilung anderer nur
aufgrund ihrer finanziellen Situation.
Die Monetarisierung aller Lebensbereiche, von der wir heutzutage alle
betroffen sind, bedroht insbesondere die Kinder und ihre
Grundbedürfnisse. Was wirklich glücklich macht, können wir nicht kaufen.
Zumindest brauchen wir dafür keine Unsummen von Geld; bereits kleine
Aufmerksamkeiten erhalten die Freundschaft, wie im vorliegenden Roman
sehr anschaulich dargestellt wird.
Josef Gottschlich